01.06.2013

Ein Gast im Hotel

Ich starrte den langen Flur entlang. Art Decor stellte ich zu meiner eigenen Überraschung jetzt erst fest. Hubsche Tapeten. Die Luft roch pilzig. Üblich für alte, schlecht beheizte Gebäude.

Ich beobachtete ihre Kontur die sich hinter der Milchglastür am anderen Ende des Flures langsam auflöste.
Sie hatte den Brief vergessen log sie und mir war klar was das bedeutete. Sie brauchte diese Bürokratie. Etwas um sich vorzumachen, dass das alles, was wir hier taten seinen geordneten Sinn hatte.

Ich wendete Ihr meinen Rücken zu und zücke die erbärmlich platt gesessene Softbox, zusammen mit dem grünroten Feuerzeug, dass ich gestern erst gekauft hatte aus meiner Gesäßtasche. Mein Ziel war das andere, hinter mir gelegene Ende des Ganges, der Ausgang aus diesem Alptraum. Vorsichtig pulte ich eine verdrehte Zigarette aus der Packung. Sie war natürlich gebrochen und zwang mich, sie auf halbe Länge herunterzukürzen.

Zigaretten haben eine für Raucher perfekt abgestimmte Länge. Länger ist eklig, kürzer zu wenig und so war mir sofort bewusst, dass diese Zigarette mich nicht beruhigen würde.

Mühsam öffnete ich die Eingangstür, deren Scharniere sandig knirschten um damit, so schien es mir, ihre eigene Ablösung heraufbeschwören zu wollen. Alles in diesem Gebäude war alt, vermodert oder kaputt.
Mein Arbeitsort war die perfekte Allegorie auf das Leben. Wie ein Gebäude nutzt man auch sein Leben mit jedem Tag den man darin verbringt langsam ab. Die Frage, die man sich an einem Punkt stellen muss ist die, ob man in einer trostlosen Ruine Enden will oder ob es Zeit ist Farbe und Mörtel zu organisieren, um die Flure wieder auf Vordermann zu bringen. Die Kaputten Lampen werden ausgetauscht, die Tapeten und auch die Scharniere. Sicher, man wird nicht alles Reparieren können und die Risse in den Wänden liegen weiterhin unter den Mörtelnarben. Vielleicht fehlt sogar das Geld für neue Türscharniere. Dann ist es etwas Öl das zumindest das Quietschen verstummen ließe. Vielleiht stellt man sich aber auch die Frage ob sich vielleicht auch nur noch ein Abriss lohnt. Fakt ist: In jedem Gebäude liegen Glück und Unglück gleich nah beieinander. Und tragischer als jede schlechte Entscheidung ist nur ein passiver Schwebezustand. Denn unser Leben ist eine Ansammlungen aus Enttäuschungen, Ernüchterungen, Verletzungen und Trauer die uns zwingt Kulissen zu bauen in denen wir noch Glück empfinden können. Das ist ein Zustand, der kurz nach der Geburt beginnt. Vielleicht ist es der Moment in dem ein Kind lernt, dass es nicht bloß schreien muss, um das zu bekommen was es will. 

Wenn wir diese Kulissen gut bauen, dann erleben wir Momente wahren Glücks und wahrer Zufriedenheit. Wir vergessen die paar Kilo die wir zu viel auf den Rippen haben, den streit von Gestern, das chronische Pieksen im Rücken. Und vielleicht halten Leute das jetzt für morbide, depressiv oder schwarzseherisch. Aber mir scheint als sei diese Selbsttäuschung jede Mühe wert und das was das Leben schlussendlich wunderbar und einzigartig macht.
Meine Gedanken hörten nicht mehr auf zu Kreisen.
Das Licht im Flur sprang wieder an. Ich drehte mich ein letztes mal um und ging los, Richtung Hauptstraße.


Draußen fand eine weitere Ankündigung statt. Kalte Regentropfen erzählten mir vom Winter und das er vielleicht demnächst vorbeischauen wolle. Wiederwillig stellte ich mich den Tropfen, die Dramatik des Rauchens findet heut zu Tage im freien statt. Drinnen geraucht wird nur noch in deutsch produzierten Filmen oder an sehr tristen Orten.

Das Feuerzeug erledigte seinen Job zuverlässig und schnell stand ich in meinem Qualm, meiner kleinen Blase in die niemand hinein will. Rauchen ist auch ein mittel der Isolation.
Ich bin sicher das in den kommenden Jahren Rauchen das Hobby der Einzelgänger und Soziopathen wird. Die, die ihr Umfeld auf Distanz halten oder absichtlich Quälen wollen. Es wird so weit gehen das die Medien Zusammenhänge zwischen Rauchen und Amokläufen zu erkennen glauben.

Mein Blick wanderte das Gebäude hinauf. Seine graue Gestallt mischte sich fast konturlos mit dem ebenso grauen Himmel. Kalte Tropfen bohrten sich in meine Augen. Ich blinzelte dem entgegen.
Das Licht in ihrem Büro ging an. Ihr hektischer Schatten wippte deutlich erkennbar im Raum herum.

Ich starrte ihren Schatten an, unfähig meine Augen abzuwenden. Verwaschene Konturen die bizarre Mosaike formend an ihrem Aktenregal umherwabberten. In diesem Zustand verbrachte ich einige Minuten. Meine Zigarette verglühte, ohne dass ich noch einmal an ihr hätte ziehen können. Erst als das Licht in ihrem Büro erlosch erwachte ich wieder aus meiner Trance.

Mein Blick fiel zurück zur Tür. Das Licht im Flur war zwischenzeitlich erloschen. Ich hatte es nicht bemerkt, bis zu diesem Zeitpunkt. Ich fokussierte die Tür aus der sie gleich zu mir in den Regen treten würde. Ich stellte mir vor wie sie vor mir stand, mich anstarrte. Sie sah müde aus heute. Sie sah eigentlich immer müde aus. Seit sie aus dem Mutterschaftsurlaub zurück war sah sie müde aus. Es machte den Eindruck, als sei ihr klar geworden das es nettere Möglichkeiten gab seine Zeit zu verbringen. Und jetzt ertrug sie ihre Arbeit nicht mehr und alles was damit verbunden war.
Ich konnte es ihr nicht übel nehmen, aber die Tatsache, das ich es war, der an der Front stand ließ sie in meinen Augen nur noch kalt und egozentrisch wirken. Sie würde also durch diese Tür treten mir den Umschlag hinhalten und etwas sagen wie "Er bis Sonntag im Hyatt. Und machen Sie bitte nicht wieder so eine Sauerei wie letztes mal! Ich will nicht, dass die Medien jedes Detail ihrer Arbeit durch den Äther jagen!"

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